Laudatio anlässlich der Atlas Preisverleihung am 28.10.2023 in Fulda
Diese wurde gehalten von Juliane Ried.
Guten Abend meine sehr verehrten Damen und Herren,
heute Abend feiert die Verleihung des Atlas Freiheitspreises Premiere – und
während es sich andere Leute gerade verdient auf der Wohnzimmercouch
gemütlich machen haben Sie sich dafür entschieden, den Weg heute Abend nach
Fulda auf sich zu nehmen und bei diesem feierlichen Anlass dabei zu sein. Dafür
danken wir Ihnen ganz herzlich.
Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, woran man Kompetenz erkennt?
Dazu möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen:
Es ist Freitag, der 12. Januar 2007, 7.51 Uhr. In der L’Entfant Plaza Metro
Station in Washington D.C. stellt sich ein junger weißer Mann in Jeans mit
langärmligen Shirt und Baseballkappe neben einem Papierkorb vor eine Wand,
packt seine Violine aus dem Violinenkoffer und fängt an zu spielen. Er
entscheidet sich, mit einem Werk von Johann Sebastian Bach in d-Moll zu
beginnen.
Es ist gerade Rush Hour in der Metro Station und in der dreiviertel Stunde, die
er auf seiner Violine gespielt hat, sind 1.070 Menschen an ihm vorbeigelaufen.
Was glauben Sie, wie viele Menschen stehengeblieben sind, um ihm zuzuhören?
Und was glauben Sie, haben die vorbeieilenden Menschen ihm für seine
Darbietung in seinen Violinenkoffer gegeben?
Siebenundzwanzig Menschen gaben Geld, die meisten von Ihnen auf der Flucht.
Am Ende hatte der Violinist 32 Dollar und Kleingeld in seinem Koffer.
Jetzt könnte man der Auffassung sein, dass 32 Dollar in diesen 45 Minuten gar
nicht so schlecht sind als Ertrag.
Aber: An diesem Freitag im Januar hatten die Menschen das Glück Teil eines
kostenlosen Konzerts eines der berühmtesten Musiker der Welt zu sein. Aber
nur, wenn sie bereit waren, davon Notiz zu nehmen.
Der Star-Violinist Joshua Bell hatte soeben auf seiner 3,5 Millionen Dollar
teuren Stradivari in Teilen sehr anspruchsvolle klassische Werke von den
berühmtesten Komponisten dieser Welt gespielt. Gewöhnlich zahlen
Konzertbesucher mindestens 100 USD Eintrittspreis für eine Karte in
Konzertsäle wie die Carnegy Hall in New York, um diesem virtuosen Genie zu
lauschen.
Warum erzähle ich Ihnen das?
In diesem Experiment „Pearls before breakfast“ ging es darum herauszufinden,
ob einer der größten Musiker der Nation den Nebel der Rushhour in Washington
durchdringen kann.
Für die Veröffentlichung dieses Experiments um herauszufinden, ob die
Kompetenz dieses Musikgenies in einer Metro Station erkannt würde, bekam
Gene Weingarten, Journalist der Washington Post, 2008 den Pulitzer Preis für
Fachjournalismus.
Auch wenn wir heute Abend nicht den Pulitzer Preis verleihen so haben wir uns
doch dafür entschieden, den Atlas Freiheitspreis 2023 im Bereich Journalismus
zu vergeben. Und an dieser Stelle darf angemerkt werden, dass der Atlas
Freiheitspreis dem Pulitzer Preis auch in nichts nachsteht. Erstens ist er eine
Glanzleistung an Handwerkskunst. Er wurde von der Kunstgießerei der
Gebrüder Ihle aus Dresden nach unseren Vorstellungen entworfen und
anschließend in Bronze gegossen. Dieses Unikat gibt es selbstverständlich –
sofern gewünscht - auch in echtem Geld, nämlich 8,2 Goldunzen statt Fiatgeld.
Wenn wir schon bei der Washington Post sind: Es waren die beiden Journalisten
Bob Woodward und Carl Bernstein, die 1973 für die Aufdeckung des Watergate-
Skandals sorgten und dieser zu einer schweren Vertrauenskrise gegenüber
Politikern führte. Die Aufdeckung von gravierenden Missbräuchen von
Regierungsvollmachten führte letztlich dazu, dass US-Präsident Richard Nixon
im August 1974 einer drohenden Amtsenthebung durch seinen Rücktritt
zuvorkam. Für die beiden Investigativ Journalisten Bob Woodward und Carl
Bernstein gab es 1973 erneut den Pulitzer Preis für die Washington Post.
Elf Jahre davor, im Jahr 1962, führte die Spiegel Affäre zu einer der größten
Staatsaffären in der Bundesrepublik. Ein Artikel des Spiegel Magazins über die
Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik führte zur Durchsuchung der
Spiegel-Redaktionsräume und Verhaftung von Redakteuren. Am Ende der Affäre
musste Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß aus dem Kabinett
Adenauer ausscheiden.
Die Watergate-und Spiegel Affäre können heute als Sternstunden der
Pressefreiheit angesehen werden. Hier wurde die 4. Gewalt ihrem Auftrag
gerecht, die Kontrolle des Staates zu übernehmen und Missstände aufzudecken.
Rote Linien, die durch Regierungshandeln überschritten wurden, konnten von
mutigen investigativen Journalisten aufgedeckt werden und führten dazu, dass
Politiker ihr Amt niederlegen mussten.
Napoleon Bonaparte sagte einmal: „Ich fürchte drei Zeitungen mehr als hundert
Bajonette.“ Diese Ehrfurcht von der Presse muss stets gegeben sein, wenn man
die Aufgabe der Medien zur Überwachung des Staates ernst nimmt.
Das setzt jedoch voraus, dass ein unabhängiger Journalismus gewährleistet ist.
Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben die Konsumenten keine
Möglichkeit, nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten frei zu entscheiden,
ob sie die journalistische Arbeit von ARD, ZDF und Co. auch freiwillig
honorieren würden.
Wenngleich außer Frage steht, dass es guten Journalismus nicht zum Nulltarif
gibt. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um öffentlich-rechtliche oder
private Medien handelt.
Der Journalist Hanns-Joachim Friedrichs prägte das Zitat: „Einen guten
Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer
Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“
Leider muss heutzutage häufig festgestellt werden, dass diese Trennung mit der
Sache insbesondere bei Journalisten der Leitmedien nicht gegeben ist.
Ohne Pressefreiheit würde unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft eine
andere sein. Dies setzt jedoch voraus, dass die Presse ausgewogen und objektiv
berichtet. Zunehmend verlieren die Bürger das Vertrauen in etablierte Medien,
da sie die Berichterstattung als zu belehrend und bevormundend empfinden.
Das Vertrauen in die Medien, ihrer Aufgabe als 4. Gewalt gerecht zu werden, hat
während der Corona-Zeit stark eingebüßt. In Teilen kann hier wohl von einer
Vertrauenskrise in die Medien gesprochen werden da sie es nicht geschafft
haben, bei weitreichenden Grundrechtseinschränkungen durch die Regierung
dieser kritisch auf die Finger zu schauen.
Journalisten, die es gewagt haben, einen anderen Blickwinkel auf die
Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung des Coronavirus einzunehmen,
wurden als Verschwörungstheoretiker oder Aluhut-Träger abgestempelt und aus
dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt.
Dass missliebige Meinungen ausgegrenzt werden sind einer Demokratie, die die
Pressefreiheit in ihrer Verfassung verankert hat, unwürdig.
Deutschland ist in den letzten Jahren auf dem Ranking der Reporter ohne
Grenzen von Platz 13 auf Platz 21 von 180 zurückgefallen. Auf Platz 1 rangiert
dabei Norwegen, Nordkorea auf dem letzten Platz.
Überall auf der Welt sind Journalisten den Gefahren für Leib und Leben
ausgesetzt. Wo auch immer sie sich mit Risikobereitschaft, hohem persönlichem
Engagement, Beharrlichkeit, Mut und demokratischer Überzeugung für die
Sicherung und Entwicklung der Pressefreiheit einsetzen bezahlen manche von
Ihnen einen hohen Preis, andere dafür sogar mit ihrem Leben.
In China sitzen derzeit über 100 Journalisten im Gefängnis, Hunderte von
Journalisten haben, so wie der amerikanische Journalist James Foley oder die
russisch-amerikanische Reporterin Anna Politkowskaja, für ihre journalistische
Arbeit mit ihrem Leben bezahlt.
Welchen Gefahren Journalisten weltweit ausgesetzt sind, lässt sich für uns als
Medienkonsumenten nicht ansatzweise erahnen, wenn wir bequem auf unserer
Wohnzimmercouch vor dem Fernseher sitzen und Nachrichten schauen.
Auch vor Bedrohungen oder vor Vertreibung sind Journalisten keinesfalls sicher.
Stellen Sie sich bitte an dieser Stelle einmal vor, wenn Sie wegen ihrer Arbeit
das Land verlassen oder mit Bedrohungen leben müssten.
Hochverehrtes Publikum,
der Atlas Freiheitspreis geht heute an einen Journalisten, bei dem man mit Fug
und Recht behaupten kann, dass er seine Aufgabe als 4. Gewalt wahrhaftig
ausführt.
Besonders während der Corona Zeit mit den weitreichenden
Freiheitseinschränkungen war er einer, der Millionen Menschen mit der
kritischen Begleitung der Regierungspolitik erreicht hat.
Wo Leitmedien versagt haben ihrem Auftrag zur Überwachung und Kontrolle
der Exekutive gerecht zu werden, hat dieser Journalist sich getraut, nicht
regierungskonform zu berichten. Die Folge waren Kontosperrungen und
Kündigung von Bankkontoverträgen.
Seine journalistische Arbeit wird von Millionen Lesern gewürdigt die den
Anspruch haben, der Regierung etwas entgegenzusetzen. Selbst Wladimir Putin,
Michail Gorbatschow, Eduard Schewadnase oder Leonid Kutschma mussten
sich seine Fragen gefallen lassen.
Er hat die Bundespressekonferenz aufgewirbelt weil er – im Gegensatz zu vielen
seiner Kollegen – es gewagt hat, unbequeme Fragen zu stellen, nachzuhaken
oder den Widerspruch aufgeklärt haben wollte. Am Ende hat man ihn aus der
Bundespressekonferenz ausgeschlossen.
Bei der Berichterstattung vor Ort in Berlin während einer Corona Demonstration
wurde er selber Opfer einer Attacke der Staatsgewalt. Dabei wollte er nur – im
Gegensatz zu vielen anderen Medien, die schon eine vorgefertigte Meinung zu
den Demonstranten hatten – live vor Ort über die Vorgänge berichten.
Er schreibt gegen jene Demokratur – jenes Demokratiedefizit an – dessen Opfer
er selbst geworden ist. Auch er musste einen hohen persönlichen Preis dafür
bezahlen, dass er seinen Auftrag ernst und wahrgenommen hat. Er wurde aus
Deutschland vertrieben und muss seiner Arbeit nun vom Ausland aus
nachgehen.
Dass dies in den Leitmedien stillschweigend hingenommen wird und nicht
einmal eine Randnotiz wert ist, ist ein Armutszeugnis für die Pressefreiheit in
unserem Land.
Er bittet seine Leser selbst aktiv zu werden, wenn er von Fällen berichtet, die an
der Funktionalität unseres Rechtsstaats Zweifel aufkommen lassen. Hunderte
Leserbriefe erreichen so Menschen, die Opfer von staatlicher Willkür geworden
sind und ihnen damit Hoffnung und Mut machen, nie den Glauben aufzugeben.
Auch seine eigene Mutter durfte sich über Hunderte Zuschriften nach einem
Aufruf an seine Leser freuen, als sie im Krankenhaus war.
Ihm gelang das, was zuletzt wohl nur dem Spiegel 1962 gelungen ist: Nämlich,
dass sich weite Teile der Öffentlichkeit mit der Presse gemein gemacht haben.
Er war das mediale Sturmgeschütz gegen einen übergriffigen Staat während der
Corona Zeit. Seine Leserschaft hatte das Vertrauen in ihn, dass er als
Presseorgan den Politikern die roten Linien aufzeigt, die nicht überschritten
werden dürfen.
In einer Zeit, in der das Wort „Lügenpresse“ häufig verwendet wird und es ein
großes Misstrauen gegenüber öffentlich-rechtlichen und anderen Leitmedien
gibt, ist dieses Vertrauen in sein Medium, dass sich bereits als Marke etabliert
hat, besonders zu erwähnen.
Dieses Vertrauen in seine Marke schafft natürlich Konkurrenz zu etablierten
Pressevertretern und damit auch Neid und Missgunst – aber damit die höchste
Form der Anerkennung.
Wir möchten mit der Verleihung des Atlas Freiheitspreises würdigen, dass er
durch unerschrockene, tapfere journalistische Arbeit vielen Medienkonsumenten
wieder Hoffnung gegeben hat, dass es eine funktionierende 4. Gewalt gibt.
Durch seine Vertreibung aus Deutschland hat er einen hohen persönlichen Preis
bezahlt. Dieser Mut sollte uns allen Vorbild und Auftrag zugleich sein, wenn es
darum geht, eine funktionierende Demokratie aufrechtzuerhalten.
Und um nun auf die Geschichte zu Beginn meiner Rede einzugehen: Es gibt sie,
die kompetenten Journalisten. Man muss nur Notiz von ihnen nehmen.
Meine Damen und Herren, der diesjährige Atlas Freiheitspreis geht an:
Boris Reitschuster.